Nachspielzeit – ein nicht nur sportlicher Abend

Zum runden Geburtstag unserer Kundenveranstaltung war das voll besetzte Bürgerhaus Bürstadt in genossenschaftlichem blau-orange beleuchtet und auch der Gastredner des Abends hatte seine ganz persönliche Strahlkraft. Marcel Reif, einer der populärsten und versiertesten Fußballkommentatoren der vergangenen Jahre, war zusammen mit Moderator Martin Klapheck ein besonderes Geburtstagsgeschenk für unsere Mitglieder und Kunden zum 30jährigen Jubiläum der Veranstaltungsreihe „live erleben“.
 
Nach der Begrüßung durch Vorstand Claus Diehlmann und einem kurzen Abriss über die Veranstaltungsthemen seit 1994 gewann Marcel Reif gleich in einer seiner ersten Bemerkungen die Herzen der Zuhörer. Er erzählte, wie er als kleiner Junge im Alter von 4 Jahren die Leidenschaft für den Fußball entdeckte. Sein Vater besuchte mit ihm gemeinsam das erste Spiel in seinem Geburtsland Polen. Ein prägendes Erlebnis, dazu noch „ohne die nervige Schwester“. Auch für ihn selbst seien die schönsten Spiele die seiner Söhne gewesen. „Ich habe gelitten wie ein Hund und mich gefreut wie ein König“, so Reif weiter. Der Amateursport auf den kleinen Plätzen sei noch ursprünglich und habe ein anderes Gewicht als das Motto im Profisport „Geld schießt Tore“. Noch deutlicher wurde der Referent, als Moderator Klapheck die Bestechungsvorwürfe gegen Franz Beckenbauer ansprach. „Glauben Sie vielleicht, dass ohne Geld ein Sommermärchen möglich gewesen wäre? Das ist Heuchelei und scheinbar haben die Deutschen eine Freude am Denkmal-Stürzen“. Deshalb habe er letztlich auch aufgehört. Dazu der Neid und die zunehmende Gewalt unter Fans – das sei nicht mehr das, was er unter Fußball verstehe.
 
Marcel Reif spielte erfolgreich beim 1. FC Kaiserslautern Fußball, machte sein Abitur in Heidelberg und studierte in Mainz Publizistik, Politikwissenschaft und Amerikanistik. Sport war sein Hobby und nie ein Berufsziel. So begann er 1972 beim ZDF in der Nachrichtenredaktion. Doch seine Leidenschaft blieb der Sport, die Arbeit Sportredaktion daher ein Traum, den er sich erfüllen konnte. Bis zu seinem Wechsel 1994 zum Sender RTL und anschließend zu Premiere (Vorgänger des Senders Sky) kommentierte und moderierte er sieben Olympische Spiele und sieben Fußball-Weltmeisterschaften. „Selten hätte ein Tor dem Spiel so gut getan wie heute“, dieses Zitat wird nicht nur Fußballfans unvergessen bleiben. Ausgelöst durch den Torfall von Madrid verzögerte sich der Anpfiff des Champions League-Spiels und zusammen mit Günther Jauch kommentierte Marcel Reif rund 80 Minuten ein Nichtereignis.
 
Doch, wie im Titel unserer Veranstaltung formuliert, sollte es ein „nicht nur sportlicher Abend“ werden und Martin Klapheck schaffte die Überleitung vom Beruf zum persönlichen Lebensweg und der Familiengeschichte des Referenten. Der Schweizer Sportjournalist wurde 1949 in Wałbrzych in Niederschlesien, Polen, geboren. Sein jüdischer Vater hat den Holocaust überlebt und Reif emigrierte mit der Familie 1956 zuerst nach Israel und ein Jahr später nach Deutschland.
 
Sei ein Mensch
 
Im Januar 2024 trat unser Referent ans Rednerpult im Bundestag. Zum Holocaust-Gedenktag sprach er über seinen Vater und dessen Umgang mit den schrecklichen Erlebnissen im Dritten Reich. Das Schweigen seines Vaters habe ihm eine unbeschwerte Kindheit ermöglicht, sagt Reif: "Es durfte nicht sein, dass auch noch seine Kinder von den furchtbaren Schatten heimgesucht, gequält werden, die seine Kindheit und Jugend zerstört hatten. Wir sollten, wir durften nicht in jedem Postboten, Bäcker oder Lehrer einen möglichen Mörder unserer Großeltern vermuten." Anfänglich habe er es abgelehnt, in diesem hohen Haus zu sprechen. „Mein Vater ist groß, ich bin nur ein verwöhnter Fußballfuzzi und kann nicht für meinen Vater sprechen, nur über ihn“, stellte Reif klar. Aber der Satz seines Vaters „Sei ein Mensch“, die Wucht dieser drei Worte, habe ihn bewogen, die Einladung der Bundestagspräsidentin anzunehmen.
 
Sichtlich bewegt applaudierte das Publikum nach rundum gelungenen 90 Minuten voller emotionaler Momente.